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Trügerisches Sicherheitsgefühl – Videoüberwachung

 

Das, von mir ansonsten geschätzte, Jugendparlament der Stadt Leipzig hat einen Antrag im Stadtrat eingebracht, mit dem Titel „Videoüberwachung Haltestelle Hauptbahnhof“.

Es wird niemanden verwundern, dass ich gegen die Installation einer Videoüberwachung im öffentlichen Raum, ja die Haltestelle ist ein solcher, bin. Das hat mehrere Gründe.

Videoüberwachung in London

Allein die Referenz zur Videoüberwachung in London sollte einen hellhörig werden lassen. So referenzieren die JugendparlamentarierInnen eine Statistik von 2017 aus der sie schließen: „Die rund eine Million Kameras, die seit 2003 installiert wurden, verbesserten die Sicherheitslage und -gefühl in der Millionenmetrople ungemein.“

Schauen wir nun aber etwas mehr in die nähere Vergangenheit, dann ergibt sich ein anderes Bild:

„ Im Vergleich zu 2013/14 gab es 2019/20 rund 211 Tausend Straftaten mehr, insgesamt also etwas mehr als 912 Tausend Straftaten. Davon entfielen 145 Straftaten auf Tötungsdelikte im Jahr 2019/20, einem der schlechtesten Jahre für Tötungsdelikte in London.“

Der Berichtszeitraum 2020/21 sieht zwar günstiger aus, aber es wird ausgeführt: „Zwischen 2015/16 und 2019/20 stieg die Kriminalitätsrate in der britischen Hauptstadt in jedem Berichtsjahr an, wobei der plötzliche Rückgang im letzten Berichtsjahr wahrscheinlich auf die Coronavirus-Pandemie zurückzuführen ist, die einen starken Rückgang bestimmter Arten von Straftaten wie Raub und Diebstahl verursachte.“

Es ist also ein Trugschluss, dass die hohe Anzahl von Kameras im öffentlichen Raum automatisch zu einem Rückgang der Kriminalität führt.

Gefühlte Sicherheit

Ja, es gibt diese Umfrage von 2017 nach der 81% der befragten BürgerInnen Deutschlands mehr Videoüberwachung für eine Verbesserung der Sicherheit halten, wenn auch unter einer anderen URL als im Antrag. Über die Wertigkeit kann nur spekuliert werden, da Statista mitteilt: „Die Quelle macht keine Angaben zur Anzahl der Befragten und zur Art der Erhebung.“

Aber ich möchte auf das „Gefühl von Sicherheit“ zurückkommen, welches die JugendparlamentarierInnen ja auch hier „Gerade in dieser Zeitspanne (späte Abendstunden/Nacht) fühlen sich viele Menschen – vor allem junge Frauen – unsicher.“ darstellen.

Auch die Gefühle potentieller Täter werden betrachtet: „Ein Gefühl der Beobachtung kann Täter abschrecken und die Haltestelle zu einer sicheren Insel machen.“

Im letzten Zitat müsste es eigentlich heißen: „Kann die Haltestelle zu einer gefühlt sicheren Insel machen.“

Wie geht Videoüberwachung?

Es ist zu vermuten, dass die JugendparlametarierInnen meinen, es wäre mit der Einrichtung einiger Kameras und der Speicherung der aufgenommenen Videos, für eine bestimmte Zeit, getan.

Will man die Haltestelle wirklich „überwachen“, dann müsste man allerdings eine Live-Überwachung durch Operatoren sicherstellen. Diese würden dann, bei der Feststellung einer kriminellen Handlung, eine „Eingreiftruppe“ zum Tatort schicken, die diese Handlung unterbindet. Die Referenz auf London lässt aber den Schluss zu, dass dies nicht gemeint ist.

Der Haltestellenbereich soll mit mehreren Kameras gefilmt werden und diese Videos sollen dann bei Anzeige einer Straftat ausgewertet werden. Diese Art der „Überwachung“ schafft aber keine Sicherheit, sie unterstützt im besten Falle die Aufklärung von Straftaten.

Dies aber nur unter der Bedingung, dass Täter zweifelsfrei identifiziert werden können. Dazu gehört, weiter will ich nicht ins Detail gehen, eine hochauflösende Aufzeichnung und die Aufzeichnung jeden Ortes im Haltestellenbereich aus mindestens drei Perspektiven – schließlich darf es nicht genügen, dass Täter sich einfach mit dem Rücken zur Kamera bewegen, um unerkannt zu bleiben. Allein die Aufzeichnungstechnik und die benötigte Speicherkapazität sprengt jeden Rahmen.

Auch diese Form ist hier nicht gemeint, sie ließe sich schon finanziell nicht einfach „testweise“ installieren.

Wer soll die Videoüberwachung durchführen?

Der Antrag des Jugendparlaments richtet sich mEn an den falschen Adressaten, wobei die Stadtverwaltung diese in ihrem Verwaltungsstandpunkt nicht aufnimmt. Es geht um die Verhinderung (die nicht möglich ist) und die Verfolgung von Straftaten. Das ist Aufgabe der Polizei, nicht der Polizeibehörde, und somit des Freistaates Sachsen. Wenn also die Stadt eine Prüfung der Voraussetzungen gemäß Polizeibehördengesetz verspricht, muss sie bei positivem Ergebnis die Installation und den Betrieb der Anlage und die Auswertung im Falle einer Anzeige übernehmen und eventuelle Ergebnisse an Polizei und/oder Staatsanwaltschaft übergeben. Das ist mehr als das Ordnungsamt zu leisten in der Lage ist.

Was bleibt?

Es bleibt bei der reinen Aufzeichnung der Bewegungen an der Haltestelle – eine Menge Daten, die sich auswerten lassen, ohne einen Täter zu erkennen. Daten über Menschen, die von Demonstrationen oder Fußballspielen kommen, oder zu diesen gehen – also von Menschen, die sich einfach in unserer Stadt bewegen. Natürlich bleibt auch die Möglichkeit des „racial Profiling“, das heißt, wenn etwas passiert ist, schaut man nach „üblichen Verdächtigen“ wie „südländisch aussehenden Menschen“.

Die Absicht des Antrages ist das natürlich nicht, aber wenn Daten vorhanden sind, wecken diese Begehrlichkeiten.

Fazit:

Ich bin aus mehreren Gründen gegen die Videoüberwachung der Haltestelle am Hauptbahnhof.

  • Videoüberwachung schafft keine Sicherheit, sie simuliert Sicherheit.
  • Videoüberwachung erzeugt Daten, die anderweitig verwendet werden können.

Eine wirkliche Erhöhung der Sicherheit erfordert eine nächtliche Dauer-Bestreifung der Haltestelle, mit angemessenem Personaleinsatz, durch die Polizei.

Das würde wirklich für Sicherheit sorgen, ist aber auch nicht unumstritten.

Autor: Thomas Köhler

 

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